Interview mit dem Vorsitzenden der Christlich-Jüdischen Zusammenarbeit

Die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit sitzt auf der Schützengasse 16 in unserem Kiez und engagiert sich sehr für den interreligiösen Dialog, für mehr Kenntnis des jüdischen Lebens und alles, was damit zusammenhängt. Wir haben den Evangelischen Vorsitzenden für ein Gespräch getroffen. Anmerkung: Die Antworten spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

Martin Henker, Ev. Vorsitzender der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dresden

„Ja, ich habe ein wenig gelesen, was Sie so machen…es gibt Sie seit 1991, und Sie sind evangelischer Vorsitzender, und ich wollte Sie fragen: welche Perspektive haben Sie persönlich, durch Ihr Engagement, auf Christen- und Judentum bekommen?“

„Also, ich bin nicht seit 1991 dabei…den Verein gibt es seit 1991, und im Vorstand bin ich seit 2021. Ich war vorher Stadtjugendpfarrer und kannte auch den Vorläufer der CJ (=Christlich-Jüdischen Zusammenarbeit), die Arbeitsgemeinschaft Kirche und Judentum. […] Für mich war dann 1991 ein ganz starker Impuls eine erste Reise nach Israel.“ Der deutsche Bundesjugendring und der israelische Pendant hatten die Reise organisiert. In einer Jugendherberge in Tel Aviv, entstand dann die Idee für ein neues Veranstaltungsformat: Aus der Frage heraus, wie man am 9. November nicht nur des Mauerfalls, sondern auch der Pogromnacht gedenken könne, entwickelte sich der „Weg der Erinnerung“.

„Das ist wirklich eindrücklich. 200 Leute fahren mit dem Fahrrad von Ort zu Ort, Jugendliche gestalten, und durch konkrete Geschichten wird für die vierte, fünfte, sechste Generation nach der Shoah eindrücklich erfahrbar, was Antisemitismus, Judenverfolgung und -vernichtung bedeuteten.“ (Link zum „Weg“ 2022)

„Und es ging ja auch vor allem darum, was sind Zusammenhänge, und was sind Gemeinsamkeiten zwischen Christen- und Judentum. Was fällt Ihnen dazu ein?“

„Mir ist ein ganz wichtiges Anliegen, dass wir Christen wirklich im Bewusstsein verankern und festhalten: Juden sind geistlich-spirituell-religiös unsere älteren Geschwister…Jesus war Jude, und es ist ausgesprochen fruchtbar, das Reden und Handeln Jesu aus dem jüdischen Kontext zu verstehen, und nicht automatisch eine christlich-theologisch-dogmatische Brille zu haben, die dann mehr von Paulus geprägt ist…Ich hatte da mal ein Gespräch mit einer Vikarin, die das sogenannte Studium in Israel hatte…das war eine Horizonterweiterung, und seither ist mir das ein wichtiges Anliegen. Dadurch, dass es diese lange, ausgesprochen engagierte, fruchtbare und aktive Zeit gibt, seit 1981 oder -82, da ist die Arbeitsgemeinschaft wohl gegründet worden, da ist natürlich beziehungsmäßig etwas gewachsen, zwischen Christen und Juden…es gibt eine Beziehung, und es gibt Kontakte, und das ist eine sehr wertvolle Geschichte.

„Warum lohnt es sich, bei der Gesellschaft mitzumachen?“

„Weil die Frage nach der Rolle von Religionen und der Verständigung von Religionen eine Schlüsselfrage unserer Zeit ist und weil das Christentum und der Islam aus dem Judentum hervorgegangen sind. Judentum, Christentum und Islam sind eng miteinander verbunden und wenn wir in Europa keinen Weg finden zu einem friedlichen und auf Gemeinsamkeiten ausgerichteten Weg, dann wird´s schwierig.

Wir sprechen über die Rolle des Islams und muslimischen Migrant:innen für Europa und Ostdeutschland sowie die zunehmende organisatorische Zersplitterung der drei genannten Religionen. Dann stelle ich die nächste Frage:

„Was hat sich denn in Ihrer Arbeit seit dem 07. Oktober verändert und wie fühlen sich die jüdischen Mitglieder des Vereins mit der Situation?“

„Also durch die Arbeit des Vereins im Vorstand gibt es ja eine ganz alltäglich-normal gegebene Begegnung mit jüdischen Menschen in Dresden, und das ist einfach erschütternd, was sich durch den 07. Oktober verändert hat. Es ist bedrückend und emotional manchmal kaum auszuhalten. Es ist eine Ratlosigkeit und Hilflosigkeit…ich erzähl´ mal ein Beispiel, von jemandem, der noch persönlich-geografische Verbindungen nach Großbritannien hat. Und der hat immer erzählt, dass er in seinem Herzen den Gedanken bewegt: Naja, vielleicht besorg´ ich mir mal noch ´nen britischen Pass. Man weiß ja nie. Den hat dann jemand aus dem Vorstand nach dem 07. Oktober getroffen und gefragt: Wie geht´s Dir denn jetzt? Da war seine Antwort: Jetzt gibt es keinen Ort mehr auf der Welt, der für uns sicher ist.

Und natürlich, die ganzen Debatten und Auseinandersetzungen hinterher… und die Unfähigkeit oder Unwilligkeit in großen Teilen der deutschen Öffentlichkeit – was ist antisemitisch und was nicht. Und mit der Behauptung: Man wird ja wohl noch den Staat Israel kritisieren dürfen! wird ganz schnell eine Distanz aufgebaut, in der dann unbesehen mitschwingt: Ja, dass es diesen Staat überhaupt geben muss! Und das bleibt also eine wichtige Aufgabe, in Gesprächen und Veranstaltungen darauf hinzuwirken, dass das klar bleibt: Antisemitismus ist auch, das Existenzrecht Israels grundsätzlich in Frage zu stellen.“

Umso wichtiger sei es, besonders junge Menschen immer wieder darin zu bilden, dass das Dritte Reich eine besondere Form des Antisemitismus in Europa und als Teil der deutschen Geschichte war, und die Verantwortung zu sehen, die damit einhergeht.

Was sich zur Zeit richtig gut eignet, sind Filmvorführungen und das wird für die Zukunft immer wichtiger werden, weil die Zeugen der Shoah immer weniger werden…aber Filme, wo auch die Vielschichtigkeit dokumentiert wird, sind ein gutes Mittel und nach wie vor auch der Weg der Erinnerung, mit dem wir nach wir vor kontinuierlich eine große Anzahl von Jugendlichen erreichen. Beim letzten Weg der Erinnerung zum Beispiel haben Jugendliche mit den Teilnehmenden vorm Neustädter Bahnhof den Abtransport von Juden nachgespielt. Das ging unter die Haut. Und das ist etwas anderes, wenn Jugendliche das selber machen und drüber reden, als wenn sie einfach nur ins Kino gehen.“

„Mich würde noch interessieren, was die Gesellschaft für die Akzeptanz der Synagoge am Hasenberg tut?“

Die Gesellschaft war sehr engagiert beim Bau der Synagoge. 1989 ploppte die Idee auf: Wenn jetzt Freiheit und Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bei uns einzieht, dann bauen wir die Frauenkirche wieder auf. …Da war die Arbeitsgemeinschaft Judentum und Kirche der Meinung: Moment mal, also die Bürgerschaft Dresdens sollte, bevor sie die Frauenkirche wieder aufbaut, die Synagoge aufbauen. …Gott sei Dank ist die Synagoge vor der Frauenkirche eingeweiht worden.“ (Anmerkung: Die Synagoge wurde 2001, die Frauenkirche 2005 wieder eingeweiht.)

(Frage im Nachhinein an Hildegart Stellmacher, ebenfalls Mitglied der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit) „Was wird getan, um jüdisches (Gemeinde)Leben in Sachsen und Dresden sichtbar zu machen und für Akzeptanz zu sorgen?“

„Da gibt es eine Aktion, 1700 Jahre Juden in Deutschland, mit der u.a. die Akzeptanz derer, die nach ´90 nach Dresden gekommen sind, gefördert werden soll. Da haben sich Teile der Gemeinde sehr engagiert. Jetzt gibt es eine Ausstellung „1700 Wörter über Juden in Dresden“, die ist zur Zeit im World Trade Center zu sehen. Außerdem haben wir Ruth Röcher sehr dabei unterstützt, jüdischen Religionsunterricht in Sachsen als gleichberechtigten Religionsunterricht zu etablieren, mit Schreiben an verschiedene Einrichtungen. Sachsen hat den Unterricht als letztes Bundesland 2019 eingeführt.

Als das Gemeindehaus der Synagoge am Hasenberg gebaut wurde, wurde teilweise gesagt „Ja die bauen sich einen Bunker“, weil das Haus zur Straßenseite ja kaum Fenster hat. Da wurde dann an der Straßenbahnhaltestelle ein Foto vom Innenraum der Synagoge aufgehängt und es gab auch ein Gemeindecafé. Nach dem Überfall in Halle und Hanau war das dann nicht mehr möglich, alles musste bewacht werden, damit niemand da reingehen und Schaden anrichten kann. Das ist einfach unheimlich traurig.

Es gibt das Themenjahr 2026, das ist das jüdische Themenjahr in Sachsen. Da gibt es verschiedene Aktionen, die darauf abzielen, sichtbar zu machen, wer von den Organisationen und Initiativen macht was, sich auszutauuschen und das in die Öffentlichkeit zu bringen. Und wenn Chemnitz 2025 Kulturhauptstadt ist, wird auch seine jüdische Geschichte gezeigt.“

„Eins ist noch wichtig zum Schluss: Das Dresdner Buch der Erinnerung wird nächstes Jahr neu herausgeben. Da ist 2006 die erste Auflage erschienen, oder 2004? Und die ist vergriffen. Und interessierte Personen und Institutionen fragen immer danach…Das Buch listet, so weit es zugänglich ist, die Biografien von Dresdner jüdischen Menschen auf, die in der Shoah umgekommen sind. Und dieses Buch wird jetzt um ein Drittel dicker, weil vieles erst jetzt erschlossen ist. Dass das Buch neu herauskommt, ist für viele erfreulich, weil es jetzt einen Ort gibt, einen Punkt gibt, in dem das festgehalten ist. Und das Buch wollen wir nächstes Jahr zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar öffentlich präsentieren.“

„Herr Henker, herzlichen Dank für das Gespräch!“

Mitglieder der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e. V. bekommen das Veranstaltungsprogramm per Post und können zum ermäßigten Preis an bestimmten Veranstaltungen und der jährlichen Studienreise teilnehmen. Die Gesellschaft befindet sich in der Schützengasse 16 (Nähe Bahnhof Mitte) und ist Dienstag: 10:00 – 12:00 Uhr und
Donnerstag: 14:00 – 16:00 Uhr zu erreichen.

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