Stolpersteine in der Friedrichstadt

Es waren unsere Nachbarn

Margarete Schreiber

Freiberger Straße 43, Wilsdruffer Vorstadt

HIER WOHNTE
MARGARETE SCHREIBER
JG. 1896
INTERNIERT 1942
HELLERBERGE
DEPORTIERT 1943
AUSCHWITZ
ERMORDET 3.3.1943

Margarete Schreiber wurde am 5. April 1896 in Dresden geboren. Dem Adressbuch von 1942 entnimmt man, dass sie Bankangestellte war. Sie lebte zunächst im Erdgeschoss der Lortzinger Straße 31 in der Johannstadt, bevor sie in den 1930er Jahren in die Freiberger Straße 43 zog. Später wurde sie gezwungen, in eines der sogenannten Judenhäuser in der Strehlener Straße 52 zu ziehen. Schwer erkrankt wurde sie im November 1942 in das „Judenlager Hellerberg“ deportiert, wo sie Zwangsarbeit leisten musste. Am 2. März 1943 wurde Margarete Schreiber nach Auschwitz deportiert, wo sie am Tag darauf im Alter von 46 Jahren ermordet wurde.

In der Freiberger Straße lebte sie in guter Nachbarschaft mit Familie Lünemann, die sie sehr schätzten. Sie spendete den Stolperstein in Erinnerung an Margarete Schreiber.

Bertha Kirschbaum

Bodelschwinghstraße 1

HIER LEBTE
BERTHA
KIRSCHBAUM
VERH. LEVY
JG. 1896
EINGEWIESEN 1941
HEILANSTALT ARNSDORF
„VERLEGT“ 7.1.1942
ANSTALT GROSSSCHWEIDNITZ
ERMORDET 26.4.1942

Bertha Levy geb. Kirschbaum wird am 1. Juni 1896 als zweites von sechs Kindern in Leipzig geboren. Ihre Eltern waren Abraham Kirschberg und Dora Kirschbaum. Bertha war jüdischen Glaubens.
Über das Leben von Bertha ist wenig bekannt. Sie lebte vermutlich in der Rosenstraße 79 in Dresden und war mit dem Arbeiter Wilhelm Rudolph Dörre zusammen – ob Sie mit ihm auch verheiratet war, bleibt ungewiss. Aus den Akten geht hervor, dass Bertha seit dem 19. April 1929 rechtskräftig geschieden wurde, sie war vermutlich als Arbeiterin beschäftigt.
Am 19. Januar 1934 gebar sie Ruth, ihre einzige Tochter. Ruth war geistig behindert und wurde vermutlich am 21. November 1941 in der sogenannten Kinderfachabteilung Leipzig-Dösen ermordet.
Bertha selbst litt den Akten nach unter psychischen Problemen und „Imbezillität“, eine veraltete Bezeichnung für angeborene oder früh erworbene, mittelgradige geistige Behinderung. Sie wurde zunächst in einem Dresdner Altenheim untergebracht, bevor man sie am 16. September 1941 in die Landes-Heil- und Pflegeanstalt Arnsdorf brachte, die während des Nationalsozialismus am sogenannten Euthanasie-Programm beteiligt war. Von dort aus verlegte man Bertha Levy am 7. Januar in die Landesheil- und Pflegeanstalt Großschweidnitz, wo sie am 26. April 1942 angeblich, wie ein Jahr zuvor ihre Tochter, an einer Pneumonie starb. Man setzte sie auf dem dortigen damaligen Anstaltsfriedhof im Quartier 3, Reihe 7 in Grab 43 bei.
Die Geschwister von Bertha Levy erlitten ähnliche Schicksale, ihre Schwester Sophie Hasenlauf geb. Kirschbaum floh nach der Ausweisung aus Leipzig mit Tochter und Ehemann nach Italien. Am 11. Februar 1944 wurden sie in Mailand aufgegriffen, zunächst in das Lager Fossoli deportiert und anschließend am 22. Februar nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Berthas Schwester Clara Busmann, geb. Kirschbaum war zunächst Zwangsarbeiterin in Leipzig und wurde später mit ihrem Ehemann und Sohn von der Transportliste des 21. Januar 1942 gestrichen. Doch knapp ein halbes Jahr später, am 13. Juli 1942 wurde sie mit ihrer Familie „nach dem Osten“ deportiert und vermutlich dort ermordet.
Margarete (Grete) Chefetz, geb. Kirschbaum, Berthas ältere Schwester, war ebenfalls Zwangsarbeiterin in Leipzig und wurde zusammen mit ihrer Familie zunächst von der Transportliste vom 17. Februar 1942 gestrichen. Ein Jahr später, am 27. Februar 1943 deportierte man beide erst in das Polizeihaftlager Dresden-Hellerberg bevor man sie am 2. März 1943 nach Auschwitz deportierte und dort ermordete.
Berthas andere ältere Schwester Johanna Pachtmann, geb. Kirschbaum, wurde am 28. Oktober 1938 bei der sogenannten Polenaktion aus Leipzig nach Polen abgeschoben. Nach dem deutschen Überfall auf Polen deportierte man sie in das Ghetto Krakau, wo sie 1940 zu Tode kam.
Den Bruder Herrmann Kirschbaum, ein Kürschner mit Geschäft in Leipzig, verhaftete man am 25. März 1941 und deportierte ihn am 28. Mai in das KZ Buchenwald, wo er am 9. August 1941 ermordet wurde. Er wurde auf dem Alten Israelitischen Friedhof in Leipzig in der Abteilung V, Urnenfeld 2, Reihe 5 in Grab 26 bestattet.

Ruth Kirschbaum

Bodelschwinghstraße 1

HIER LEBTE
RUTH
KIRSCHBAUM
JG. 1934
KLINIK LÖBTAUER STR.
„VERLEGT“ 18.6.1941
ANSTALT GROSSSCHWEIDNITZ
KINDERFACHABTEILUNG
LEIPZIG-DÖSEN
ERMORDET 21.11.1941

Ruth Kirschbaum wurde am 19. Januar 1934 in der Friedrichstraße 41 in Dresden als einziges Kind von Bertha Levy-Kirschbaum geboren. Der Vater des Kindes war vermutlich der Arbeiter Wilhelm Rudolf Dürre. Wohnhaft waren sie in der Rosenstraße 79. Da ihre Mutter jüdischen Glaubens war, galt Ruth nach der nationalsozialistischen Rassegesetzgebung als „Mischling“ 1. Grades. Ruth litt unter einer geistigen Behinderung; laut Diagnose an „schwerem angeborenem Schwachsinn mit zeitweise auftretenden Erregungszuständen“.
Im Alter von gerade einmal fünf Jahren wird Ruth am 8. Dezember 1939 in das Krankenhaus Löbtauer Straße eingeliefert, wo sie bis zum 16. Januar 1940 verblieb. Die Nervenklinik des Dresdner Stadtkrankenhauses war ein Sammelpunkt für Betroffene des Euthanasie-Erlasses, um zur zentralen Tötungsanstalt Großschweidnitz deportiert zu werden. Dieses Schicksal blieb Ruth Kirschbaum zunächst erspart.
Am 27. Februar 1941 wurde sie auf Betreiben ihres Vormundes Nathan Kalter erneut eingewiesen. Von dort aus sollte sie in die Pflegeanstalt Bendorf-Sayn Kreis Koblenz überwiesen werden, was aber abgelehnt wurde, da es sich um eine jüdische Einrichtung handelte, in der sowohl das Personal als auch die Patienten jüdisch sein mussten. Stattdessen brachte man Ruth nach Großschweidnitz. Ein Aufnahmeantrag ist auf den 18. Juni 1941 datiert, einen Tag später ist sie Patientin der Anstalt. Von dort aus wurde sie in die berüchtigte sogenannte Kinderfachabteilung des Krankenhauses Leipzig-Dösen gebracht. Dabei handelte es sich um eine eigens zur Ermordung kranker Kinder eingerichtete Institution im Rahmen des Euthanasieprogramms der Nazis. Die dort behandelnden Ärzte Dr. Mittag und Dr. Seegers waren für den Tod hunderter Kinder verantwortlich. Ruth starb vermutlich am 21. November 1941 im Alter von sieben Jahren angeblich an einer Bronchopneumonie – eine häufig angegebene Todesursache, die die eigentliche Todesursache verschleiern sollte. Bestattet wurde sie auf dem Alten Israelitischen Friedhof in Leipzig.

George Steinhart

Rosenstraße 39

HIER WOHNTE
GEORGE STEINHART
JG. 1879
VERHAFTET
GEFÄNGNIS DRESDEN
ENTLASSEN
FLUCHT IN DEN TOD
31.1.1935


George Steinhart wurde am 6. August 1879 in Ilawa (Polen) als Sohn von Ignatz Steinhart und Rosa Sara Salzmann geboren. Er war von Beruf Elektriker und wohnte zuletzt in der Rosenstraße 39 in Dresden. Er war mit Anna Paula Camilla Steinhart, geb. Lorenz, verheiratet, sie hatten ein Kind, Theodor Waldemar, geb. am 30. Juni 1916 in Dresden.
George Steinhart und Anna Paula Camilla, geborene Lorenz, heirateten 1916. Das Ehepaar trennte sich 1932, Anna Paula Camilla verließ Dresden, es ist nichts weiter über ihr Schicksal bekannt.
George lebte dann bis zu seinem Tode mit der Schwester seiner Frau, Anna Irene Alice Lorenz, geb. am 7. Juni 1903, zusammen, die bei der Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1945 ums Leben kam.
Georges Sohn Theodor Waldemar wurde am 8. September 1942 von Prag, wo er lebte, nach Theresienstadt deportiert, dann nach Auschwitz, wo er am 28. September 1944 ermordet wurde.

Mit seiner späteren Lebensgefährtin Anna Irene hatte George ebenfalls einen Sohn, Günther Paul Lorenz, geb. am 25. Juli 1920. Dieser wurde von seiner späteren, nicht jüdischen Ehefrau während der Verfolgungszeit versteckt, nach dem Krieg heirateten sie und bekamen 1946 eine Tochter. Günther Paul Lorenz wurde 1947 im Streit von einem Nachbarn erschossen.

George Steinhart wurde Anfang 1935 inhaftiert und nahm sich am 31. Januar 1935 um 11:15 Uhr in seiner Wohnung das Leben, wie eine Urkunde des Polizeipräsidiums belegt.

Er wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Dresden beigesetzt.

Waldemar Theodor Steinhart

Rosenstraße 39

HIER WOHNTE
THEODOR WALDEMAR STEINHART
JG. 1916
FLUCHT
TSCHECHOSLOWAKEI
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
ERMORDET

Waldemar Theodor Steinhart wurde am 30. Juni 1916 in Dresden als Sohn von George Steinhart und Anna Paula Camilla Steinhart, geb. Lorenz, geboren. Sein Vater war von Beruf Elektriker, die Familie wohnte zuletzt in der Rosenstraße 39 in Dresden. Nachdem sich die Eltern 1932 getrennt hatten, lebte Waldemar Theodors Vater George bis zu seinem Tode mit der Schwester seiner Frau, Anna Irene Alice Lorenz, geb. am 7. Juni 1903, zusammen, die bei der Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1945 ums Leben kam. George Steinhart nahm sich nach einer Inhaftierung am 31. Januar 1935 das Leben. Über das Schicksal der Mutter ist nichts bekannt, sie verließ Dresden.
Theodor Waldemar Steinhart war gezwungen, nach Prag zu fliehen. Im Jahre 1940 plante er die Emigration nach Peru, was jedoch scheiterte. Am 8. September 1942 wurde er von Prag nach Theresienstadt deportiert. Am 28. September 1944 wurde er nach Auschwitz gebracht, wo er ermordet wurde.

Gertrud Nollert

Schäferstraße 9

HIER WOHNTE
GERTRUD NOLLERT
GEB. DRECHSLER
JG. 1906
ZEUGIN JEHOVAS
VERHAFTET 30.12.1936
MORINGEN
LICHTENBURG 1938
RAVENSBRÜCK 1939
BEFREIT


Gertrud Nollert, geb. Drechsler, wurde am 1. April 1906 in Dresden geboren. Sie wuchs bei Pflegeeltern auf und erlernte das Friseurhandwerk. Sie ließ sich am 7. Dezember 1928 als Zeugin Jehovas taufen und heiratete am 22. Januar 1931 Wilhelm Nollert. Gemeinsam wohnten sie in der Schäferstraße 11. Wegen Bezugs illegaler Bibelforscher-Schriften und Weiterleitung von zehn Reichsmark zur Unterstützung verfolgter Glaubensangehöriger wurde sie am 30. Dezember 1936 verhaftet – 8 Tage vor ihrem Ehemann. Beide erhielten am 26. Februar 1937 vor dem Sondergericht Freiberg eine Strafe von 10 Monaten Gefängnis, die Gertrud in Freiberg verbüßte. Der Strafhaft folgte die Schutzhaft, denn: „Die N[ollert] hat sich trotz des Verbotes für die Ernsten Bibelforscher betätigt und ist aus diesem Grunde gerichtlich bestraft worden. Es besteht der dringende Verdacht, dass sie sich auch weiterhin für diese Organisation betätigt und damit – wie bereits bisher – die öffentliche Ordnung und Sicherheit unmittelbar gefährdet.“
Am 25. November 1937 kam sie ins Frauen-KZ Moringen; dort stieg 1937 nach einer reichsweiten Verhaftungswelle der Anteil der Zeuginnen Jehovas von 17 % im Juni auf 89 % im Dezember. Gertrud Nollert erhielt die Häftlingsnummer 342, die sie auch in den beiden nächsten Lagern behielt. Im Zuge der Auflösung des KZ Moringen verbrachte man 500 Frauen mit drei Sonderzugtransporten in das Frauen-KZ Lichtenburg. Gertrud Nollert war eine der 148 Zeuginnen Jehovas, die am 21. Februar 1938 dort eintrafen. Der Ortswechsel brachte härtere Arbeitsbedingungen und schärfere Strafmaßnahmen mit sich: Im Oktober weigerten sich Gertrud Nollert und andere, im KZ-Hof eine Radioansprache Hitlers anzuhören, da sie nur Jesus als ihren Führer anerkannten. Die SS-Wachen trieben die Frauen daraufhin mit eiskaltem Wasser aus Schläuchen aus ihrem Schlafsaal und unter Fußtritten auf den Hof hinaus, wo sie stundenlang völlig durchnässt in der Kälte stehen mussten. Das hinterließ bei Gertrud dauerhafte gesundheitliche Schäden. Danach belegte man sie und einige andere Frauen mit vier Monaten Postsperre und drei Wochen verschärftem Arrest bei verkürzten Essensrationen.
Am 15. Mai 1939 kam Gertrud erneut auf Transport: nach Ravensbrück, wohin man aus Lichtenburg insgesamt fast 400 Lila-Winkel-Häftlinge verlegte. Dort verweigerten die Frauen das Nähen von Munitionstäschchen für Soldaten – diese Art der Kriegsunterstützung verletzte ihr christliches Gewissen. Frierend und hungernd mussten sie fünf Tage lang jeweils sieben Stunden in der Kälte stehen; darauf folgten drei Wochen Dunkelarrest im Bunker, und während der Weihnachtsfeiertage erhielten sie keinerlei Nahrung. Kurz darauf besuchte der Reichsführer-SS Heinrich Himmler persönlich die Zeuginnen Jehovas, um sich über den Erfolg der Strafmaßnahmen zu informieren. Danach kamen die Frauen in die von innen völlig vereisten Baracken zurück. Bei minus 30 Grad mussten sie mit leichter Kleidung und halbierten Essensrationen Schnee räumen und Ziegelsteine abladen. Die Aufseher bezeichneten die Frauen als „Friedhofskolonne“. In ihrer Not aßen sie Unkraut und Sägespäne – sie waren nur noch Haut und Knochen; Gertrud hatte über 22 kg verloren.
Im August 1942 kam sie mit zunächst zehn (später insgesamt 30) Zeuginnen Jehovas auf das 20 km entfernte Landgut Hartzwalde, wo die Frauen in Zivilkleidung bei besserer Versorgung arbeiteten. Das Gut entwickelte sich zu einem Zentrum des „illegalen“ Literaturtransfers: Von hier aus fanden Schriften von Jehovas Zeugen aus Schweden ihren Weg in die Konzentrationslager und auch zu noch in Freiheit lebenden Zeugen Jehovas.
Unterdessen kam Gertruds Mann Wilhelm am 18. November 1937 zunächst nach Buchenwald; als Häftling 443 arbeitete er in der Strumpfstopferei. Am 06. Juli 1942 verlegte man ihn nach Dachau (Häftlingsnummer 31087). Als Kriegsinvalide aus dem Ersten Weltkrieg kam er am 11. Januar 1944 in das Vernichtungslager Majdanek (bei Lublin in Polen), wo er am 02. März 1944 mit 49 Jahren an „Fleckfieber“ starb.
Gertrud war im KZ so schwer krank geworden, dass sie sich zwischen 8. August und 2. September 1944 im Krankenhaus Neuruppin einer Operation unterziehen musste. Am 04.01.1945 verstarb ihre Mutter – jetzt hatte sie keine Verwandten mehr. Bis April 1945 musste sie auf dem Landgut Comthurey arbeiten, das Oswald Pohl gehörte (1951 im Rahmen der Nürnberger Prozesse als NS-Kriegsverbrecher hingerichtet). Nachdem das Gut in Flammen aufgegangen war, kam sie bis 08. Juli 1945 wieder nach Hartzwalde zurück.
Vergeblich versuchte sie in den nächsten Jahren in Dresden Fuß zu fassen. Sie wollte sich als Friseuse selbständig machen, was daran scheiterte, dass sie die 200 Mark für die Meisterprüfung nicht aufbringen konnte. Sie kam zunächst bei Freunden unter, wohnte ab Juli 1947 in Salzwedel und ab September 1948 in Rostock. Hier wurde ihr eine Woche vor dem Verbot der Zeugen Jehovas in der DDR (31.08.1950) der Status eines „Opfers des Faschismus“ wieder aberkannt, da sie weiter zu ihrem Glauben stand. Aus Gewissensgründen lehnte sie auch die politische Unterstützung der Nationalen Front ab. Daher wurde ihr das angemietete Zimmer wieder entzogen. Am 15. Oktober 1950 verweigerte sie außerdem die Beteiligung an der Wahl zur 1. Volkskammer der DDR.
In den Monaten danach wurden in der DDR immer mehr Zeugen Jehovas inhaftiert. Leute, mit denen Gertrud über ihren Glauben gesprochen hatte, informierten sie Anfang August 1951, dass die Behörden bereits nach ihr suchten. Sie reagierte sofort: Flucht zunächst nach Westberlin und von dort per Flugzeug am 16. August 1951 nach Hannover. Dort (wie später auch in Velbert-Neviges und Wuppertal) wohnte sie eine Zeitlang bei ehemaligen KZ-Mithäftlingen. Am 18. September 1952 zog sie schließlich in den Wiesenweg 5 in Wermelskirchen – fünf Tage nach ihrer Heirat mit Gustav Hartmann; Gertrud kümmerte sich auch um sein 10-jähriges verwaistes Enkelkind, das bei ihnen aufwuchs. Bis zu ihrem Tod am 26. September 1996 mit 90 Jahren blieb Gertrud Hartmann aktiv mit der Gemeinde von Jehovas Zeugen in Wermelskirchen verbunden.

Wilhelm Nollert

Schäferstraße 3

HIER WOHNTE
WILHELM NOLLERT
JG. 1895
ZEUGE JEHOVAS
VERHAFTET 7.1.1937
BUCHENWALD
1942 DACHAU
DEPORTIERT 1944
MAJDANEK
ERMORDET 2.3.1944

Wilhelm Nollert wurde 02. Januar 1895 in Ludwigshafen als jüngster von vier Brüdern geboren. Er verlor bereits im Alter von acht Jahren beide Eltern. Danach wuchs er bei Pflegeeltern auf. Als gelernter Gärtner erhielt er Anstellungen in Düsseldorf und Heidelberg. Im Ersten Weltkrieg diente er als Soldat. Dabei wurde er in Dünaburg (heute Daugavpils, Lettland) verschüttet. Als Kriegsinvalide zog er zunächst nach Berlin. In Dresden fand er dann ca. 1920 Arbeit in der Nähmaschinenteile AG, kurz Nähmatag genannt.1930 lernte er die gebürtige Dresdnerin Gertrud Drechsler kennen, die er am 22. Januar 1931 heiratete. Als Ehepaar wohnten beide dort in der Schäferstraße 11.
Bereits seit 1928 bekannten Wilhelm und Gertrud Nollert sich als Bibelforscher, wie Jehovas Zeugen bis 1931 genannt wurden. Aufgrund seiner religiösen Überzeugung verweigerte Wilhelm Nollert den Hitlergruß, sowie die Teilnahme an politischen Appellen bei der Nähmatag und verlor daher 1935 seine Arbeit. Wegen der Verteilung illegaler Bibelforscherschriften und des Treffens mit Glaubensangehörigen in Privatwohnungen wurde zunächst Gertrud Nollert und acht Tage später am 07. Januar 1937 auch Wilhelm Nollert verhaftet. Beide erhielten am 26. Februar 1937 vor dem Sondergericht Freiberg eine Strafe von 10 Monaten Gefängnis, die Wilhelm Nollert zunächst in U-Haft in Dresden und dann Freiberg verbüßte, bevor er am 01. April 1937 nach Leipzig (Klein-Meusdorf) verlegt wurde. Daran anschließend verhängte die Gestapo Schutzhaft.
Am 18. November 1937 wurde Wilhelm Nollert in das Konzentrationslager Buchenwald, Block 16, überführt. Dort musste er als Häftling Nr. 443 in der Strumpfstopferei arbeiten. Am 06.07.1942 verlegte man ihn in das Konzentrationslager Dachau, Block 22, wo er die Häftlingsnummer 31087 erhielt. Am 03.01.1944 verbrachte man Hunderte „nicht mehr arbeitsfähige“ Häftlinge aus Dachau in das Vernichtungslager Majdanek (160 km sö. von Warschau); unter ihnen war auch der Kriegsinvalide Wilhelm Nollert.
Seine Frau war inzwischen in die Frauenkonzentrationslager Moringen (25.11.1937), Lichtenburg (21.02.1938) und Ravensbrück (15.05.1939) eingeliefert worden. Seit August 1942 arbeitete sie auf dem Landgut Hartzwalde, einem Außenkommando von Ravensbrück. Von hier aus konnte sie ihrem Mann nacheinander drei Pakete nach Dachau senden. Am 03. Oktober 1943 schrieb Wilhelm seiner Frau in einem seiner letzten Brief aus Dachau, dass er mit Gottes Gnade an den „vollständigen Sieg der Gerechtigkeit“ glaubte. Als das letzte der drei Pakete mit dem Vermerk zurückkam, dass der Adressat nach Lublin überstellt worden sei, schrieb Gertrud sofort an das dortige KZ Majdanek. Mit Schreiben vom 05. April 1944 teilte ihr die Kommandantur mit, dass ihr Mann „am 02.03.1944 an Fleckfieber verstorben“ sei – eine Darstellung, die seine Witwe zeitlebens anzweifelte.
Nach der Befreiung aus dem KZ kehrte seine Witwe nach Dresden zurück. Aufgrund der erneuten Verfolgung von Jehovas Zeugen Jehovas in der neu gegründeten DDR wechselte sie häufig ihren Wohnsitz und floh 1951 über Berlin nach Westdeutschland. Dort heiratete sie am 13.09.1952 den Zeugen Jehovas Gustav Hartmann und lebte bis zu ihrem Tod 1996 in Wermelskirchen.

Quelle: http://stolpersteine-dresden.de/

Weitere Informationen zu den Stolpersteinen, den Schicksalen der Menschen aus Dresden und die Quellen zu diesen Informationen findet ihr ebenfalls auf oben genannter Homepage.

Wir geben in diesem Beitrag die originalen Texte dieser Homepage wieder. Wir tun das mit freundlicher Erlaubnis der Betreiberinnen und Betreiber. Herzlichen Dank dafür.

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Dieser Beitrag ist Teil 6 von 10 der Artikel-Serie Historische Friedrichstadt

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