Friedrichstadt eben

Schönes Wetter gerade! Fahr ich doch mal Rad, also Fahrrad. Noch so ein richtig altes Tourenrad habe ich. Vermutlich aus den siebziger, achtziger Jahren. Es ist ein Rad aus dem damaligen kapitalistischen Ausland. So fuhren Sie also rum, die BRD-Bürger damals. Dieses Gefühl werde ich auch gleich haben. Wie ich das Fahrrad bekam, ist auch eine Geschichte wert. Aber wer will das schon wissen…Also nix mit New-E-Green-Energy-Power angetrieben, ist das „anerkannte Markenrad“. So schrieb es der damalige Hersteller voller Stolz auf den Stahlrahmen. Soll millionenfach verkauft worden sein, steht auch auf dem Rahmen. Man kann ganz schön viel Geschichte raus lesen, aus so einem bissel schmalen Stahlrohr.

Ich trete gleich feste in die Pedale, male ich mir in Gedanken Schritt für Schritt die Treppenstufen hinabsteigend aus. Bin schon lange nicht mehr Rad gefahren. Also Fahrrad. Und so schönes Wetter draußen, stelle ich immer noch fest. Die Sonne blendet sogar. Ah, herrlich! Ich schätze die strahlende Sonne in der kalten Jahreszeit noch mehr. Also schneller im Galopp die Stufen runter. Den Schlüssel für das Fahrradschloß zwischen Zeigefinger und Daumen geklemmt, werde ich gleich das Schloß öffnen. Aber ich bin noch im Treppenhaus. So jetzt bin ich unten im Hof.

Abseitig der Sonne liegt der Hof immer. Meine Augen gewöhnen sich gerade an den Helligkeitsunterschied. Meine verengten Pupillen weiten sich. Aber nicht wegen der gewechselten Lichtbedingung. Da wo mein Fahrrad steht, steht nichts. Ich schaue ins Nichts. So wie die Cowboys im wilden Westen bis zum Horizont. Aber ich bin ja nicht im Wilden Westen… Meine geweiteten Pupillen schauen nach unten auf das traurigfarben graue Pflaster. Da liegt verletzt mein Fahrradschloß. Schwer verletzt. Es wurde geknackt. So, also ob Ihnen jemand den Arm durchsägt, schoß es mir durch den Kopf. Wer macht denn so was, dachte ich, seltsam ohne Groll. Ich stelle es einfach fest. Dabei ist mein Rad das betagteste von allen Vehikeln. Aber es ist mit Chromschutzblechen. Wissen sie, so wie die alten Karossen, mit Chromstoßstangen. Dabei ist die Gangschaltung im A..äh Eimer. Das Kugellager macht auch „knickknack“ beim in die Pedale treten. In die Pedale treten ist jetzt aber nicht. Also laufe ich, wo ich hin fahren wollte. So fahren, wie ein BRD-Bürger das schon in den siebziger Jahren konnte. Nicht wie ich, mit meinem Mifa-Fahrrad damals. Das hatte keine Chromschutzbleche. Aber Elsterglanz-Creme hatte ich. Jetzt habe ich weder Elsterglanz-Creme, die ich sowieso nicht brauche, weil ich mein Fahrrad mit den beiden glänzenden Chromschutzblechen nicht fahren kann.

Ich genieße im Laufen die wärmenden Strahlen der Sonne über der Friedrichstadt. Meine Pupillen verengen sich wieder. Ja, so schön scheint die Sonne ins Gesicht. So, Ziel erreicht. Mache meine Sache da. Fertig. Gehe wieder zurück. Die Sonne scheint noch immer. Ich fühle mich wie ein Reiter ohne Pferd. Stehe an der Ampel und schaue auf das „Schwarze Schaf“. Seltsam, wer gab dieser Gaststätte den Namen? Bin ja noch neu im Viertel, neu in dieser barocken Landeshauptstadt. Vielleicht hat ein Gast mal die Zeche geprellt? Ja, solche Gedanken kommen mir, da die Ampel ewig nicht umschaltet auf den grünen Ampelmann. Neben mir steht eine vermummte Frau mit Kinderwagen. Ihre Augen lächeln. Das merke ich auch, ohne das restliche Gesicht zu sehen. Sie verschwindet in einem nahe gelegenen Neubaublock. 

Die Sonne scheint. Sie scheint so sehr, dass Sie mich blendet. Es blitzt! Es blitzt zweimal! Zwei verchromte Schutzbleche blinken mich in der Sonne an. Ist es mein Fahrrad? Mein „anerkanntes Markenrad“? Aus der alten BRD? Mit dem kaputten Kugellager? Steht an einem Wäschemast-Pfahl. Ich schaue mit meinen verengten Pupillen…ja ist mein Rad. Ich schaue den Block mit den bunten Balkon-Verblendungen hoch und wieder hinunter. Kein Mensch zu sehen. Ich nehme das Fahrrad in Augenschein. Alles ganz. 

Ich steige auf das Rad. Kann kaum glauben, den Fahrtwind im Haar zu spüren. Es macht „knickknack“, wie freue ich mich über das kaputte Kugellager, das vertraute Geräusch. Ein Rad mit Charakter. Wer weiß, was es schon erlebte in den Jahrzehnten. Mein „anerkanntes Markenrad“.

Lasst euch benachrichtigen oder benachrichtigt andere!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Cookie Consent mit Real Cookie Banner