Neulich hat mich Detlef Pflugk, Mitbegründer des Stadtteilarchivs Dresden Neustadt und Hobbyhistoriker, auf etwas Spannendes aufmerksam gemacht: die Gullideckel an der Garnisonkirche. Auf ihnen steht „Eisengießerei Kelle & Hildebrandt Friedrichstadt Hohenthalplatz 5-6“. Er fragte mich, ob ich etwas über diese Firma wüsste. Was hat es mit diesem Namen auf sich? Das weckte meine Neugier, und ich begann, zu recherchieren. An der angegebenen Adresse befindet sich heute eine Wiese und Garagen. Die Garnisonkirche Dresden wurde zwischen 1893 und 1900 gebaut. Ich kontaktierte Thomas Kuhlmann von der IG Historische Friedrichstadt. Er verwaltet das Archiv zur Geschichte der Friedrichstadt.
Was ich herausfand, ist eine faszinierende Geschichte eines ehemaligen Unternehmens aus der Friedrichstadt, das eine bedeutende Rolle in der industriellen Entwicklung der Stadt gespielt hat und bis heute Spuren hinterlässt. Lass uns gemeinsam in die Geschichte der Kelle & Hildebrandt GmbH eintauchen, um herauszufinden, wer sie waren und was sie geschaffen haben.
Die Geschichte der Kelle & Hildebrandt GmbH: Vom königlichen Hofschmied zur weltbekannten Bühnentechnik
Von den Anfängen zur Blütezeit
Im Jahr 1874 gründeten der königlich-sächsische Hofschmiedemeister Dietrich Conrad Kelle und Adolf Hermann Hildebrandt die Firma Kelle & Hildebrandt im Dresdner Stadtteil Friedrichstadt. Was als kleine Schmiede und Gießerei begann, entwickelte sich schnell zu einem florierenden Unternehmen. Die 150 Jahre alten Gullideckel, die heute immer noch in Dresdner Straßen verbaut sind, sind ein Zeugnis ihrer Produktpalette und zeugen von der Qualität und Beständigkeit ihrer Arbeit.
Nach Hildebrandts Tod übernahmen seine Söhne die Leitung und erweiterten das Geschäftsfeld um Brücken-, Stahl- und Maschinenbau. Besonders bekannt wurde der Betrieb für die Herstellung von Bühnenmaschinerien, die viele deutsche und internationale Opernhäuser und Theater ausstatteten.
Wegweisende Innovationen und soziale Verantwortung
Die Firma war nicht nur für ihre Produkte bekannt, sondern auch für ihre modernen innerbetrieblichen Maßnahmen. Bereits 1891 wurde eine Unterstützungskasse für die Arbeiter eingeführt, die ab 1896 auch bezahlten Urlaub beinhaltete. 1899 folgte die Einrichtung einer Betriebskrankenkasse. Diese fortschrittlichen Maßnahmen trugen zur sozialen Absicherung der damals 850 Mitarbeiter bei und setzten neue Maßstäbe für die damalige Zeit.
Wachstum und internationale Anerkennung
Ein Höhepunkt der Firmengeschichte war die Teilnahme an der Weltausstellung 1889 in Paris. Dort stellte das Unternehmen einen schmiedeeisernen Altan aus, der heute noch in Radebeul bewundert werden kann. Im Laufe der Jahre expandierte die Firma weiter und eröffnete ein neues Werk in Großluga, das später zu Niedersedlitz gehörte. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs blieb das Unternehmen im Besitz der Familie Hildebrandt.
Herausforderungen nach dem Krieg
Während beider Weltkriege stellten Kelle & Hildebrandt diverse Rüstungsgüter für das Deutsche Heer und die Wehrmacht her. Im Zweiten Weltkrieg war das Unternehmen einer der wichtigsten Rüstungsbetriebe Dresdens und produzierte ab 1943 vorwiegend Teile für die neuen U-Boote des Typs XXI. Nach 1945 wurde das Unternehmen im Zuge der Entnazifizierung und des Wiederaufbaus in Volkseigentum überführt. Teile der Werksanlagen wurden als Reparationen in die Sowjetunion gebracht. Trotz dieser Herausforderungen entwickelte sich der Betrieb als VEB Sächsischer Brücken- und Stahlhochbau Dresden weiter und spielte eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau kriegszerstörter Infrastruktur.
Der Weg in die Moderne
Nach der Wende ging das Unternehmen in den Verantwortungsbereich der Treuhandanstalt über und wurde 1993 von der GEA AG übernommen. Seit einem Management-Buyout im Jahr 1998 ist das Unternehmen wieder selbständig. Heute gehört es zur SBS-Gruppe und ist ein weltmarktführender Anbieter von Theaterbühnentechnik mit Niederlassungen in Berlin, Shanghai und Hongkong.
Ein Blick auf die Produkte
Für verschiedene Dresdner Gebäude führten Kelle & Hildebrandt und ihr Nachfolgebetrieb Stahlbauten aus, beispielsweise die Dachkonstruktion der Kreuzkirche, die Stahlkonstruktion für das Requisitengebäude der Semperoper und die Hauptmarkthalle in der Friedrichstadt.
Die Produktpalette von Kelle & Hildebrandt war vielfältig: Stahlskelettbauten, Brücken, Förderanlagen, Fernsehtürme, Bahnschienen, Gaslaternen, Straßenmasten sowie Schleusen- und Schachtdeckel. Auch die Herstellung von Schienenfahrzeugen gehörte zeitweise zum Portfolio. Im Bereich der Bühnentechnik setzte das Unternehmen seit 1900 Maßstäbe und belieferte zahlreiche renommierte Opernhäuser und Theater weltweit.
Fazit
Der Schachtdeckel, den Detlef Pfluck an der Garnisonkirche entdeckt hat, ist also um die 130 Jahre alt. Thomas Kuhlmann verrät mir, dass die Stadtentwässerung Dresden in Kaditz eine ganze Kanaldeckelsammlung hat.
Die Geschichte der Kelle & Hildebrandt GmbH ist ein beeindruckendes Beispiel für unternehmerischen Erfolg, soziale Verantwortung und Innovationskraft. Heute als Teil der SBS-Gruppe fortgeführt, bleibt das Erbe der einstigen Eisengießerei aus der Friedrichstadt lebendig und prägt weiterhin die Welt der Bühnentechnik. Wenn du also das nächste Mal eine Theateraufführung genießt oder in die Markthalle am Bahnhof Mitte gehst, schau mal an die Decke und denk daran, dass ein Stück Dresdner Ingenieurskunst dahinter steckt.