Am Bahnhof Mitte blüht es. Wo früher graue Ecken und Müll lagen, gibt es seit einigen Jahren gepflegte Blumenrabatten. Dahinter steckt kein städtisches Großprojekt, sondern eine Initiative, die still und leise wirkt: „Chancen für Chancenlose“.

Montags am Bahnhof Mitte
Meistens montags sieht man die Gruppe am Bahnhof Mitte beim Harken, Gießen und Müllsammeln. Auch im Sportpark Ostra sind sie aktiv. Menschen, die sonst wenig Chancen im Arbeitsleben haben, gestalten hier die Stadt sichtbar mit. Drei Stunden am Tag, manchmal länger, sind sie unterwegs – ehrenamtlich, mit Struktur und einem festen Rhythmus.
„Kippen sind das Schlimmste“
Ich habe mit Diana, einer Teilnehmerin, gesprochen. Sie hat Erfahrungen mit einer Suchterkrankung gemacht und setzt alles daran, sich davon zu lösen. Durch einen Kumpel erfuhr sie von diesem Projekt:
Und was bedeutet dir das Projekt?
„Für mich ist das das beste Projekt, an dem ich je teilgenommen habe. Es macht Spaß, draußen zu sein, eine Aufgabe zu haben und gemeinsam mit anderen etwas Schönes zu schaffen.“
Was ärgert dich besonders bei der Arbeit?
„Die Kippen. Überall Kippen! Vor allem direkt neben den Mülleimern. Das ist so unnötig und macht den Boden richtig kaputt.“
Was wünschst du dir für das Projekt?
„Die Stadt hat uns die Förderung gekürzt. Das sollte wieder verändert werden, denn das Projekt hilft Menschen wie mir, endlich wieder auf die Beine zu kommen.“

Das Projekt „Chancen für Chancenlose“ gibt es seit 2018 in Dresden. Anfangs startete es eher klein, vor allem im Alaunpark und an der Seestraße. Rainer Pietrusky hat es damals ins Leben gerufen, um Menschen ohne festen Alltag oder mit schwierigen Lebenswegen eine sinnvolle Beschäftigung und Teilhabe zu geben.
Seitdem hat sich das Projekt vergrößert und prägt inzwischen auch die Friedrichstadt. Besonders sichtbar ist das am Bahnhof Mitte: Seit der Vorplatz mit Blumenrabatten gestaltet wurde, bleiben mehr Menschen dort stehen, setzen sich auf die Bänke und nutzen den Platz. Das wilde Parken und die Vermüllung haben spürbar nachgelassen. Gleichzeitig sorgt die neue Aufenthaltsqualität dafür, dass öfter Anwohnende vorbeischlendern, die Blumen bestaunen – und damit ganz nebenbei für mehr soziale Kontrolle im Viertel.
„Das macht Riesenspaß“
Auch Timon Schulze, Student der Soziologie, engagiert sich seit kurzem bei „Chancen für Chancenlose“. Er ist über ein anderes Ehrenamt dazugekommen und absolviert hier sein Pflichtpraktikum:
Wie bist du auf das Projekt aufmerksam geworden?
„Ich habe mit Rainer Pietrusky gesprochen und sofort gefragt, ob ich mitmachen darf. Die Idee hat mich gleich überzeugt.“
Und wie erlebst du deine Arbeit hier?
„Es macht mir wirklich Riesenspaß. Ich kann mein Studium praktisch mit Engagement verbinden, lerne viel von den Leuten – und ich will auf jeden Fall weitermachen, auch wenn die 280 Praktikumsstunden vorbei sind. Und ich habe auch einen ganz neuen Blick auf Rauchende gewonnen. Wozu gibt es Mülleimer?“

Mehr als nur Beete
Die Gruppe kümmert sich nicht nur um Blumenrabatten, entfernt die Glasscherben vom letzten Konzert und sorgt für saubere Wege. Wenn am 13. September das Stadtteilfest Friedrichstadt steigt, sind sie auch dabei – allerdings nicht als Gäste, sondern als echte Möglichmacher. Sie bauen die Stände mit auf, packen beim Abbau an und sorgen so dafür, dass das Fest überhaupt reibungslos über die Bühne geht. Ohne sie gäbe es weniger Glanz hinter den Kulissen.
Kleine Schritte, große Wirkung
Etwa 30 Menschen machen derzeit mit. Der Initiator Rainer Pietrusky bringt sie zusammen – Menschen mit schwierigen Lebenswegen, Freiwillige oder Studierende wie Timon Schulze, der hier sein Soziologie-Praktikum absolviert. Für viele bedeutet das Projekt nicht nur eine Aufgabe, sondern auch ein Stück Teilhabe.
Stadtgestaltung im Alltag
Das Beispiel zeigt: Stadtverschönerung beginnt nicht bei millionenschweren Bauvorhaben, sondern in kleinen Schritten – einer Gießkanne, einem Besen, einem gemeinsamen Montag am Bahnhof Mitte. Genau dort entsteht Lebensqualität im Viertel, sichtbar für alle, die täglich vorbeikommen.
Das Projekt „Chancen für Chancenlose“ wird vom Neuer Hafen e. V. getragen – ein Verein in Dresden, der sich um soziale Integration kümmert.
So kannst du helfen
Trägerverein: Neuer Hafen e. V.
Mitmachen: Wer Lust hat, kann sich auch als Freiwillige:r beteiligen – beim Müllsammeln, Gärtnern oder beim Aufbau von Ständen.
Spenden: Der Verein freut sich über finanzielle Unterstützung, um Material und Aufwandsentschädigungen zu finanzieren.
Bekannt machen: Erzähl im Freundeskreis oder im Viertel vom Projekt – je mehr Menschen davon wissen, desto stärker wird es unterstützt.
Politisch einsetzen: Wer mag, kann sich in Stadtteilrunden oder Bezirksbeiratssitzungen für den Fortbestand starkmachen.