Unheimliches Zwielicht breitet sich von den Elbwiesen aus. Nebel kriecht wie kaltes Gewebe durch die engen Gassen von Dresden, dringt in jede Ritze und bringt einen Geruch von Tod und altem Feuer mit sich. Das Pflaster knirscht, als schleppe sich jemand in zerschlissenen, schweren Kleidern Richtung Wildruffer Tor. „Heidine Wiedemann ist zurück! Sie geht nach den Toten sehen!“, tuscheln die Menschen in den armseligen Häusern der Vorstadt.
Wir schreiben den 31. Oktober 1629 im kleinen Ort Ostra. Zwischen dem Stadttor und Dorf steht der Rabenstein. Ein Ort vieler Gräueltaten. Die letzte Hinrichtung liegt erst wenige Monate zurück. Der Kadaver des Gerichteten verfault noch am Strick. „Ein Festmahl für die Krähen soll er sein!“ , ordnete der Kurfürst Johann Georg I. dem Scharfrichter Hans Melchior Wahl an. Auf dem Rabenstein lässt der Bären-Georg zur Abschreckung seiner Untertanen die Gehenkten monatelang verfaulen und verwesen. Der bestialische Gestank breitete sich überall aus.
Auf diesem Richtplatz war vor fast fünfzig Jahren auch Heidine Wiedemann als Hexe verbrannt worden. Kurfürst August verurteile sie zum Tode. Gregor Keller, ein Kleinkrimineller beschuldigte sie, den Kurfürsten verzaubert zu haben. Sie beteuerte ihre Unschuld. Der Scharfrichter Kunz Polz ging mit ihr scharf ins Gericht. Sie gestand unter der Folter. 1585 erlitt sie den grausamen Feuertod unter dem Gejohle der Bauern und Bürger von Ostra und Dresden.
Sie schwor noch auf dem Scheiterhaufen ihren Peinigern verheerende Rache. Es heißt, sie schare ein Heer der Gerichteten um sich. Seit ihrer Verbrennung zieht der Geist der Hexe nun immer am 31. Oktober mit schlurfendem Schritt gen Rabenstein. Sie lässt die Toten vom Rabenstein wieder auferstehen. Mit ihnen zieht sie zum Friedhof der Henker hinter der Annenkirche und lässt die Toten nicht ruhen, die sie einst peinigten. Und es heißt, wer sich ihr in den Weg stellt, stirbt und wird in das Heer der Untoten rekrutiert und ist zu ewiger Verdammnis verurteilt.
Die Gerber zittern in ihren Häusern. „Bloß nicht ans Fenster gehen! Wenn Heidine uns sieht, dann sind wir des Todes!“ Niemand tritt in dieser Nacht auf die Straße. Alle lauschen gebannt den schlurfenden Schritten der Untoten. Wen wird sie diese Nacht erwecken und verfluchen?
Zuletzt wurde das Spektakel am 31. Oktober 1735 beobachtet. Dann beschloss die Stadt, den Rabenstein abzureißen.
Aber wer weiß, vielleicht zieht Heidine Wiedemann bis heute durch die Friedrichstadt?
Diese Geschichte entspringt unserer Fantasie. Das Redaktionsteam vom friese-Journal wünscht euch ein schönes Halloween!